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Sonntag, 18. Mai 2008

"So viel mehr"

"Freundschaften? Bruderschaften, Beziehungen sagst du?". Ein feines Lächeln überzog das faltige Gesicht des alten Mannes." Nun, das sind keine Dinge, die man zwischen Angel und Eimer bespricht, nicht wahr. Zumal wird es dunkel und womöglich finden wir den Weg nicht zurück. Den Orientierungssinn hast du von deinem Vater und der, der hat ihn von mir." Er lachte hämisch, dass sich je doch schnell in ein weitaus lauterem Husten entwickelte. Ganz so, als würde er für seinen Humor bestraft. "Diese, dein Freund hat nen Freund, der nen Nachbarn hat, dessen Oma ne Freundin, Nummer kannst du dir sparen. Ich weiß, dass es um dich geht." Resigniert starrte der junge Mann in den leeren Eimer. "Und doch, verstehe ich dich. Es gibt kein komplexeres Wesen, wie den Menschen. Genauso, wie es keine stupideren Wesen gibt." Wieder lachte der alte Mann, dieses mal ohne Husten. "Im Grunde ist es doch kein so großer Unterschied. Ich meine, 90% zwischen einer festen Beziehung und einer echten Freundschaft, ist doch ohnehin gleich. Alles was darüber ist, sind Gefühle, die kommen und gehen. Es ist die Frage, was du möchtest." Noch ehe der junge Mann etwas sagen konnte, unterbrach ihn sein älterer Gegenüber. "Na hör mal.... wie kannst du sowas denken?" "Aber ich habe habe doch gar nichts gesagt...." " Ich weiß, was du sagen wolltest." "na da bin ich mal gespannt", sagte der junge Mann schnippisch." " Du wolltest sagen, "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach". Richtig?" Schweigen. "Richtig? Wie kannst du nur eine Freundschaft so herabwerten. Weißt du, mich haben im Leben sechs Frauen verlassen und nicht ein einziger Freund. Das ist der Unterschied." Er fühlte sich überlegen.
Nach einer kurzen Pause holte der junge Mann aus seine Hosentasche einen kleinen, zusammengefalteten Zettel heraus, der beschrieben war.
Er begann, daraus zu lesen:
"Was ich auch schreibe.
Es wird dir nicht gerecht.
Und was du nicht bist,
das sind wir zusammen.
Was ich nicht bin,
das bist du längst.
Und was wir nicht sind,
das werden wir sein.

Erkennst du deinen Wert?
Weißt du, wie schön du bist?

Ich habe mir geschworen,
mich nie zu unterwerfen,
Doch ich bin so unwürdig,
Herr, ich bin so unwürdig.
Du schicktest mir das Glück.
Und ich hab' s nicht erkannt.
Kein Tag wird verschwendet,
keine Begegnung ausgelassen.

Erkennst du deinen Wert?
Weißt du, wie schön du bist?

Was du mir gibst,
das will auch ich dir geben.
Keiner hält mich davon ab.
Denn du bist es wert.
Wenn nicht du, wer denn?
Meine Worte sind nichts.
Sie werden nie ausdrücken,
was ich wirklich fühle.

Ich bin vollständig.
Mir fehlt nichts mehr.
Ich bin komplett.
Mir kann nichts passieren.
Du hast mich geheilt.
Uns kann nichts passieren."

Als er fertig war und wieder aufblickte, hatte der alte Mann Tränen in den Augen. In seiner linken Hand hielt er ein Taschentuch.
Er streichte dem jungen Mann durch das Haar und sagte leise : "Du verstehst so viel mehr als ich."


"So viel mehr."

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