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Mittwoch, 28. Mai 2008

Nichts bedauern

Als Krentz sich gefangen hatte, entdeckte er ein Blatt Papier auf dem Boden und hob es auf:

Ich werde nicht mit "Wenn ihr diese Zeilen lest...." beginnen. Dieser pathetische Müll ist etwas für eingescheiterte, emotionslose Familienväter, die nie ein Vater waren und nie eine Familie hatten und die ihrer Umwelt und sich zeigen möchten, dass sie zwar gescheitert sind, je doch trotzdem in der Lage sind, Emotionen aufzuschreiben.

Ich erinnere mich an jedes einzelne Wort. An jeden Vorwurf, den sie mir machten, jeden Namen, den sie mir gaben. Und das meiste stimmte auch. Und selbst die paar Lügen, aufgebauscht von Wichtigtuern die kein eigenes Leben zu haben scheinen, dafür um so mehr Zeit, sich über die Belange anderer auszulassen, waren belanglos. Weil sie keinen Unterschied machten. Einen wie mir glaubt man doch nicht. Und ich habe mich nie bemüht, mich zu verteidigen.
Ich kann nur so viel sagen: Ich bin mehr als die Dinge, die ich getan habe. Und das hat euch nie interessiert. Ihr saht Alexis, das Monster, den Unmenschen. Der, der seine gerechte Strafe bekommen wird. Derjenige, von den ihr meint, schlecht zu schlafen. Doch ihr habt nicht wegen mir schlecht geschlafen, sondern wegen euch. Dass ihr euch erst für so etwas interessiert wie mich zeigt, wie erbärmlich ihr seid. Leute wie ihr brauchen einen Antihelden, einen fast schon mytischen Antihelden, etwas böses, von dem ihr euch abheben könnt. Und sicher, ich bin böser als ihr. Keiner von euch kann euch vorstellen, etwas derartiges zu tun wie ich. Doch auch wenn es euch nicht passt. Ich bin und bleibe Mensch.
Wie ihr mit dem Finger auf mich zeigtet. Wie ihr in euren Wohnzimmern die Worte von melodramatischen Boulevardmoderatoren aufnahmt und immer wieder mit den Köpfen schütteltet. Und wie ihr dann alles wieder vergessen hattet, als der Wetterbericht zu Ende war. Eure 7 Minuten Betroffenheit, eure Auf-Knopf-Druck Bedrücktheit Ausdruck, eure gestellte, zeitlich begrenzte Anteilnahme. All das ist so verlogen und so heuchlerisch und typisch Deutsch.Was wollt ihr damit erreichen? Euer ewiger geschichtlicher Komplex scheint sich selbst in den unmöglichsten Situationen zu zeigen. Wie ich das Deutsch sein nie verstanden habe, obwohl ich hier mein Leben verbracht habe. Es scheint, je mehr man nachdenkt, desto weniger versteht man.
Mich fragte einmal ein Journalist: "Sie haben schreckliches getan. Haben sie denn kein Mitleid mit den Hintrbliebenden?" Ich habe nicht geantwortet und selbstverständlich ist die Frage auch nicht in dem Interview erschienen. Nun möchte ich sie beantworten: Sie nahmen mir alles und ich nahm ihnen ihr Wichtigstes. Sie töteten meinen Geist und ich tötete ihre Kinder. Ich weiß, er werdet mich nie verstehen, doch ich bin mit mir selbst im reinen. Ich habe mir Gerechtigkeit verschafft. Es ist also völlig irrelevant, ob ich geantwortet hätte oder nicht. Verstanden hättet ihr mich nicht. Ihr wolltet mich nie verstehen, warum auch? Ihr habt euer Feindbild, wozu es dann auch noch verstehen? Der Journalist hoffte auf meine Antwort, damit er sie drucken konnte, damit die Betroffenheitsindustrie wieder läuft und damit ihr alle ein besseres Gewissen habt. Weil ihr glaubt, besser zu sein als ich.
Ich werde nun das beenden, das niemals begann. Eine Kindheit, die nie stattgefunden hat. Ein Erwachsensein, das nur wegen eines Grundes existierte. Nämlich um zu funktionieren. So lange ich funktionierte, nicht auffiehl, war alles in bester Ordnung. Doch als ich aufgehört habe, ein kleines Rädchen in einem riesigen inhumanen Systen zu sein, wurde ich heimgesucht. Ich habe alles erreicht, was ich jemals hätte erreichen können. Und das war nicht viel, doch immer noch mehr, als die meisten jemals erreichen werden.
Ich entschuldige mich für nichts und bedaure keine Tat.

Krentz schüttelte Kopf. Er legte den Brief in eine Plastikhülle und verschloss sie sorgsam, eher er sie in seine Tasche verschwinden ließ.

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