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Samstag, 23. Februar 2008

Nur noch ein Schritt

Der Mann ging aus dem Haus, richtete den Kragen seines schwarzen Mantels, streifte sich seine Lederhandschuhe über und ging nach draußen. Er war unrasiert und hatte lange nicht geduscht. . Er begann zu Zittern, wohlwissend warum. Doch er hatte vorgesorgt.
Die Frau hatte die Vorhänge zugezogen und saß in ihrem Sessel. "Seid jetzt still, ich möchte nicht mit euch reden." Sie trat an ihre Leinwand und betrachtete ihr Bild. Ein Wirbelsturm über eine Großstadt. Ein Auto hupte, die Frau erschrack und lehnte sich ängstlich an die Wand.
Der Mann schloss die Tür seines Hauses und ging auf die Straße. Es fing leicht an zu regnen, doch das störte ihn nicht. Es war ungewöhnlich mild für die Jahreszeit. Er schlenderte am Fluss entlang, betrachtete die Menschen, die an ihm vorbeigingen. Gleichgültigkeit.
Die Frau blieb an der Wand, atmete schneller und schneller. "Sie sind hier!". Binnen einer Sekunde griff sie das Telefon, das auf dem Tisch lag und rollte sich wieder an die Wand. Sie wählte eine Nummer. Es dauerte eine Zeit dann flüsterte sie "Sie sind hier, wie ich gesagt habe." Dann legte sie auf.
Dem Mann wurde es zunehmend schwindelig. Er schwitzte, zitterte wieder. Er setzte sich auf eine Bank, neben eine alte Dame, die sogleich ein wenig zur Seite rutschte. Doch das störte ihn nicht. Im Moment wollte er nur eine Sache.
Die Frau weinte. Doch sie versuchte es so weit es geht zu unterdrücken. "Wenn sie mich finden, ist es vorbei." Plötzlich hatte sie einen Gedanken und schrack auf. "Die Lichter! Die sieht man doch von außen." Blitzschnell kroch sie auf dem Boden zum Schalter und erlisch das Licht.
Nach einiger Zeit erhob sich der Mann und ging weiter. Er griff in seine Gesäßtasche und holte ein verknicktes Foto heraus. Darauf war er abgebildet mit einer schönen Frau, die ein Baby im Arm hatte. Eine Träne tropfte auf den Kopf des Kindes. Schnell wischte er sie ab und steckte das Foto zurück in die Tasche. "Und ich bin schuld" flüsterte er mit zittriger Stimme.
"Der Chip, ich habe ja noch den Chip!" Die Frau kratzte sich am Kopf und überlegte. "Ich kann nur weg von hier, wenn ich den Chip entferne. " Schnell kroch sie ins Badezimmer, das keine Fenster hatte. Sie stand auf und betrachtete sich im Spiegel. Sie nahm den Langhaarschneider, beugte ihren Kopf nach unten und rasierte am Hinterkopf einige Haarbüschel ab. Dann nahm sie das scharfe Messer, das neben dem Spiegel lag.
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Doch das nutzte wenig. Er weinte und weinte. Die alte Dame, die zunächst angewidert war, betrachtete ihn nun mitleidig. Der Mann stand auf und ging weiter. Er weinte immer lauter und die Menschen, die ihm entgegenkamen, beachteten ihn kaum und schauten an ihm vorbei. Absichtlich.
Das Waschbecken war voller Blut, ebenso wie das Messer und ihre Hand. Die Frau wirkte erleichtert. "Sie haben den Chip wohl schon entfernt." Sie nahm einige Tupfer und Pflaster und klebte sie an ihrem Hinterkopf fest. "Jetzt kann ich gehen." Die kroch aus dem Bad in den Flur und zog sich ihren Mantel an.
Zittern, befriedigen, erleichtern. Der Mann stöhnte kurz und schüttelte seinen Kopf, hielt sich seinen Magen und blieb einen Moment stehen. Nach wenigen Sekunden ging er weiter. Die große Brücke war nur noch 200 Meter entfernt. Der Lärmpegel stieg, man hörte die Autos von der Brücke.
Die Frau schlich die Treppen hinab, bis sie in der Tiefgarage ankam. Sie schaute sich immer wieder um doch sah keinen. Das Pflaster war durchgeblutet. Sie stieg in ihr Auto und öffnete von dort die Garage. Dann gab sie Gas und raste nach draußen.
Der Mann musste eine Wendeltreppe nach oben gehen. Er wankte und stolperte. Es regnete nun stärker. Doch der Mann stieg unbeirrt die Treppen nach oben. Er wusste, dass es bald vorbei war.
Die Frau fuhr auf die Autobahn und schaute immer wieder panisch in den Rückspiegel. "Da sind sie!" Sie gab Gas. 170 km/h, 190 km/h. Immer wieder blickte sie nach hinten. "Sie sind immer noch da, was mach ich jetzt?" Der Regen ließ sie nicht mehr als 100 Meter blicken.
Oben auf der Brücke angekommen, fing wieder das Zittern an. Völlig außer Atem griff er wieder in die Manteltasche. Zwei Schlucke, ein Klirren. Erleichterung. Es war laut auf der Brücke. Die Autos fuhren sehr schnell. So kam ihm das jedenfalls vor. Er ging eine ganze Weile. Dann setzte sich der Mann auf die Leitplanke und drehte sich, so dass er mit dem Rücken zu den Autos saß.
Die Frau sah sich um und war erleichtert. "Sie sind weg". Doch dann erschrack sie, wieder. "Wo seid ihr?? ich sehe euch nicht? Ich habe doch keinen Chip mehr". "Wir sind immer bei dir, dein Leben lang." hörte die Frau. Sie weinte und schrie. Unter ihr war der Fluss, ein Stückchen weiter ein Feld. Sie hielt auf dem Standstreifen und stieg aus. Sie stand auf Scherben.
Der Mann erhob sich. Der Regen tropfte ihm über die Stirn in die Augen und in den Mund. Er weinte immer lauter, so dass aus dem Weinen ein Schreien wurde. Doch die Autos waren zu laut. Niemand konnte ihn hören. Unter ihm war eine Wiese und einige Bäume.
Das Blut lief ihr inzwischen am Nacken herunter. Der Regen ließ nach. Die Frau ging weiter bis sie direkt unter dem Feld stand. "Du kannst uns nicht töten, wir sind immer ein Teil von dir." Doch die Frau reagierte nicht.
Der Mann hatte wieder das Bild mit der Frau und dem Kind in der Hand. Er lies es los und der Wind trug es mit einigen Schleifen und Kurven schließlich ein Stückchen neben das Feld. Er blickte kurz nach rechts und sah in weiter ferne ein Auto stehen. "Nur noch ein Schritt", dachte der Mann. "Ein Schritt nur noch."
Die Sonne kam zum Vorschein, die den Regen zu verdängen schien. Eine Windböhe verteilte die Glasscherben unwesentlich, die teilweise voller Blut waren. Von dem nassen "Bitte ein Bit" Werbeschild tropfte das Wasser.

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