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Freitag, 27. Juni 2008

Die Abrechnung

"Du musst mir nicht sagen, was ich zu tun habe. Niemand muss das. Ihr meint wohl, ich wäre zurückgeblieben und dumm, weil ich nicht das mache, was ihr von mir denkt? Was Papa von mir erwartet? Dass ich nicht in seine Fußstapfen treten werde und seinen Betrieb übernehmen werde. Ja, das wurmt euch schon sehr. Tut mir leid, aber mir fehlt das Talent zum Verwalten. Und dann bin ich auch noch schwul. Das auch noch. Welch ein Leid hat euch der Herrgott wieder auferladen. Mama ist sicher deshalb schon beichten gegangen. Ein Wunder, dass der Exorzist noch nicht bei mir geklingelt hat. Schwul sein ist keine Krankheit, für die man sich rechtfertigen muss. Das ist nichts, was man auch nur erklären müsste, nichts wofür man ein Wort verlieren müsste. Ich werde mich nie an irgendwelchen Outing-Orgien beteiligen. Und wisst Ihr auch warum? Weil ich es als normal ansehe, weil ich mich nicht erklären möchte, dass ich lieber Männer als Frauen möchte. Mit diesem künstlichen Begriff, dem "Outing", gebe ich doch der Gesellschaft zusätzlich einen Grund, schwul sein als etwas besonderes anzusehen. Genauso wie ich diese ganzen kaputten, nicht selten Bullemie oder SVV geschädigten, Schlampen nicht ausstehen kann, die in der Manier eines Philosemiten (Anm: "philophob") alles Schwule toll finden und ach so gerne einen schwulen Freund haben würden. Denen ist ebenso wenig zu helfen, wie die nicht minder kaputten homophoben Schwachköpfen, die noch NS geschädigt zu sein scheinen und sich in ihrer feinen Bigotterie falscher Toleranz sonnen. ich könnte kotzen. Zu denen gehört ihr doch insgeheim, nicht wahr? Ihr würdet es nie zugeben, aber ich weiß genau, wie ihr über Schwule denkt. Es stimmt schon: Generation Ausschwitz. Mit denen kann man nicht argumenteren. Und ich möchte es auch gar nicht.
Einfach nur schwul sein... für viele längst kein Problem mehr. Für euch wäre es zumindest eine Herausforderung, die ihr annehmen müsstet. Doch dafür seid ihr zu feige, stimmts? Natürlich stimmt es.
Der Schwule, unglücklicherweise auch noch einzige Sohn, der euren Betrieb nicht übernehmen wird, dafür sich selbst verwirklicht und sein Leben so lebt, wie er möchte. Das gefällt euch nicht? Dass ich zwar nicht so bin, wie ihr wollt, dafür so lebe, wie ich es für richtig halte? Dafür verachtet ihr mich? Dann seid ihr keine Eltern und keine Familie. Dann seid ihr...."

In diesem Moment machte es "klick": Die Kassette des Diktiergerätes war zu Ende. Alexander stand in seinem Schlafzimmer und betrachtete eines seiner Bilder, das er vor einigen Jahren schon gemalt hatte und das seit jeher über seinem Bett hing.
Nach einigen Minuten inne halten, machte er langsam kehrt und verließ das Zimmer. Mit einer fast gleichgültigen Handbewegung ließ er das Diktiergerät auf das Bett fallen, ehe er die Tür schloss.

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