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Sonntag, 6. Juli 2008

Tatklosigkeit und Gesellschaft

Manchmal muss ich über Dinge lachen, die eigentlich nicht lustig sind. Ja, sehr oft sogar. Ich erinnere mich an einen niederländischen Moderator, der in seiner Talkshow einen Menschen im Rollstuhl eingeladen hat, der über seine tödliche Erbkrankheit sprach. Unglücklicherweise hatte dieser arme Mensch eine solch unnatürlich hohe Stimme, dass der Moderator in seiner live Sendung anfangen musste zu lachen. Nachdem er mehrere Minuten dagegen ankämpfte, konnte er seinem Lachen nichts mehr entgegen setzen und prustete los. Die Show wurde abgebrochen, der Moderator entlassen. Heute ist er im Radio tätig.
Manchmal bin ich in ähnlichen, natürlich bei Weitem nicht solchen prekären, Situationen. Ich muss in vermeintlich unpassenden Momenten lachen. Sind noch andere Menschen dabei und ich drehe mich zu ihnen, so sehe ich nicht selten ebenfalls lachen-unterdrückende Gesichter. Woran liegt es?
Es geht wieder mal um Zwänge, die uns die Gesellschaft aufdrückt, aufzwängt und sie als allgemeingültig erklärt. In dieser 10 Gebote Manier versucht uns die Gesellschaft, die längst an uns vorbei lebt, zu suggerieren, was wir zu tun und zu lassen haben. Darüber kann ich, natürlich deplazierterweise, nur herzhaft lachen. Ich lasse mir meine Charaktereigenschaften nicht von Dritten vorschreiben. Ich bin kein Unmensch, der widerwärtige Vorstellungen von Moral hat, ich brauche niemanden, der sie für mich vorschreibt. Ich bin ein Souverän, wir alle sind souverän im Geiste. Es ist unsere Entscheidung, wie wir auf die Anforderungen des Lebens reagieren und wie wir weiter agieren. Das Leben ist zu individuell und komplex, als dass allgemeine Vorschriften ohne Einschränkungen für alle gelten könnten. Es ist schlicht nicht möglich, alle Menschen mit ihren Biographien und ihren unterschiedlichen Auffassungen von Leben, in ein Regelwerk zu spannen. Dieses Regelwerk wird nicht selten Gesellschaft genannt. Doch das ist es nicht. Gesellschaft akzeptiert sehr wohl unterschiedliche Auffassungen, ob es um Moral oder Ethik geht. Eine Gesellschaft ist keine Ersatzreligion oder einer Subreligion, unter die man sich zu unterwerfen hat. Gesellschaft heißt Leben lassen, in einem bestimmten Rahmen. Doch das heißt nicht, dass der Rahmen feststeht und nicht zu durchbrechen ist. Gesellschaften emanzipieren sich, "sprengen" gewissermaßen ihre Rahmen, in dem einzelne sie bewusst missachten. Dann gibt es eine Kontroverse und die Gesellschaft diskutiert über die Sinnhaftigkeit der bestehenden Rahmen, oder ob eine Neujustierung von Nöten ist. Keine Gesellschaft kann als ein fixes System bestehen ohne Spielraum und Platz zum Überschreiten der Rahmen.
So kann man auch mal über Dinge lachen, die die Gesellschaft nicht lustig findet. Oder man kann über Dinge sprechen, die als Tabu gelten. Ich finde sogar, jedes mündige Mitglied einer Gesellschaft, der unuzufrieden ist, ist angehalten, das zu tun. Die Kontroverse wagen, taktlos sein und provozieren. Denn Taktlosigkeit ist der Beschluss zu sagen, was alle anderen denken. ( Oscar Wilde)
In diesem Sinne wünsche ich eine schöne neue Woche.

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