"Was bedeutet eigentlich "links" zu sein, wofür steht die Linke?" Frage mich vor einigen Tagen ein guter Bekannter. Ich überlegte kurz und antwortete: "Die Linke stand immer für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Sie tritt für Bürger und Menschenrechte ein und macht sich für Minderheiten stark." Letzteres sogar dann, wenn sie mit aller Macht Staat und Gesellschaft bekämpfen. "Muss man dafür "links" sein, um für diese Werte einzutreten?" hörte ich im Anschluss. Wieder überlegte ich.
"Nein, ich denke nicht. Nicht mehr." Die nächste, unweigerliche Frage würde dann lauten:
"Ist der Begriff "links" nicht hinfällig?"
Ursprünglich bezog sich der Begriff der politischen „Linken“ auf die parlamentarische Sitzordnung nach der Julirevolution in Frankreich 1830. Die erste, nicht-inhaltliche Frage, die man sich zu dieser Begrifflichkeit stellen muss, ist, ob sich eine Bewegung aufgrund einer willkürlich gewählten Sitzordnung, die noch dazu mehr als 170 Jahre alt ist, entsprechen nennen muss. Ich meine nein.
Die zweite Frage ist eine unbequemliche noch dazu. Es geht um die Machbarkeit. Über die Unzulänglichkeiten des Realsozialismuses bedarf es keiner Diskussion. Dies sollte gewissermaßen als Axiom hingenommen werden und alle Stanalinisten und sonstige Realsozialos mit Spott und Hohn entgegengetreten werden. Dieser Diskurs ist nach fast 20 Jahre Fall der Mauer noch notwendig, wenn man einige Vertreter der politischen Linke, v.a. in Ostdeutschland, aber auch zunehmend im Westen, aDie politische Linke hatte ihre Blüte in den 70ziger Jahren. Verschiedenste Bewegung, von den sozialen Bündnissen bis hin zur Schwulenbewegung regten ein Umdenken in der Gesellschaft an. Und nicht nur das. Auch ganz praktisch veränderten die 68ziger das Land, dass sich sowohl am Abtreibungsparagraphen als auch zuletzt am (eingeschränkten) Recht Homosexuellen zu heiraten. Dies sind nur zwei Beispiele zahlloser großer und kleiner Errungenschaften der Linken. Doch, so hart es klingt, die Welt braucht heute keine Alice Schwarzer oder Rudi Dutschkes. ( Wobei ich mir sicher bin, dass Dutschke mit der Zeit gegangen wäre und sich, wie viele Vertreter seiner Bewegung, emanzipiert hätte). Die Linke hat so viel erreicht, dass ihre Ziele und Ideale in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Es gibt mittlerweile homosexuelle AGs in der CDU, Ursula von der Leyen macht (ehemals) tief sozialdemokratische Familienpolitik und Peter Gauweiler protestiert zusammen mit Heiner Geißler gegen die Globalisierung. Auch wenn letzteres nicht repräsentative Einzelfälle sind, so ist dennoch eine Werteverschiebung zu erkennen. Prophan gesagt: Was früher links war, ist heute allenfalls "liberal" wenn nicht selbstverstäbdlich, zumindest jedoch "mitte". Die Linke ist in der Mitte angekommen und das ist auch gut so.
Was bedeutet das für uns "Exlinke"?Aufbau eines Zentralrat der Exlinken? Schaffung einer Bundesbehörde und einen Bundesbeauftragten? Wohl eher nicht. Wir ehemaligen Linken dürfen nichts von unserer kritischen Vernunft verlieren, genauso wenig wie wir unsere Progressivität und Radikalität vergessen dürfen. Wir sind nach wie vor Vordenker progressiver Politik. Doch das sind wir nur dann, wenn wir unser ideologisches Korsett ablegen. Das hindert euch daran, zu komplexen politischen Fragen, umfassende Antworten zu geben. Ihr seid in eurem Geist gefangen, ja gegeißelt. Legt dieses Korsett ab, diese falsche Rüstung und denkt pragmatisch. Nicht ideologisch bedeutet weder weniger radikal noch rückgratlos. Rückgrat hat der, der seine Werte kennt. Nicht der, der einer Ideologie, die fast immer auch eine Utopie ist, hinterherfläuft. Der Pragmatismus, der progressive Pragmatismus ist die neue Heimat für die alten Linken. Was das im einzelnen bedeutet, bedarf hitziger Debatten.
Eines aber ist sicher: Der Humanismus, der evolutinäre und sekulare, bleibt für einen Linken seine Grundphilosophie. Nicht seine Ideologie, da sie weder eine Staatsform noch konkreter Handlungs und Denkvorschläge bietet, hinter der man sich verstecken kann. Man ist nun frei, unbeschwert und kann sich ganz der kritischen Vernunft widmen. Er hat nun auch keine Probleme, Israel oder die USA zu unterstützen oder Kuba zu kritisieren. Genauso wie umgedreht. Es gibt keinen ideologischen Zwang mehr.
Sich von etwas geliebten zu lösen, ist hart. Ideologie gibt Kraft und Sicherheit. Sie ist eine Ersatzreligion, die nicht auf alles, aber vieles eine Antwort hat. Sie beruhigt ungemein. Doch sie vereinfacht Komplexitäten, die nicht zu vereinachen sind. Und deswegen ist die ideologische Linke im Unrecht.
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