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Sonntag, 9. Januar 2011

The Art of Hobo: Das Recht auf Emotionen

Ich bin gefühlskalt. Definitiv. Natürlich bin ich das, was sonst? Deswegen rege ich mich jedes mal unsäglich auf, wenn Leute mich mehr als dreimal auf dem Handy versuchen zu erreichen.( Ich sehe die Nummer, verdammtnochmal, ich habe einen AB und man kann mir SMS schreiben. So bald ich den Anrufe sehe, rufe ich zurück. Glaubt ihr, ich sehe eher auf mein lautloses Handy, wenn ihr x-mal anruft?) Gefühlskalt eben. Ein wahrer Eisblock.
Auch Ärger, Enttäuschung, Wut sind Gefühle. Ja, sogar das Grummeln meines Magens, das mich auf mein Alltagsgeschäft erinnert, ist ein Gefühl. Aber bei "du bist so gefühlskalt" meint man ja nicht, dass man keinen Ärger ausdrücken kann. Man kann nur in den Augen dieser keine "wahren" Gefühle zeigen.
Aber trotzdem bin ich gefühlskalt/gefühlslos. Und warum? Weil ich nicht bei Film X an Stelle YY:ZZ nicht nur nicht weine, mich dies nicht nur nicht mal im geringsten tangiert - mehr noch; ich es gerade zu abstoßend, aufgesetzt und dämlich finde. Oder: Weil ich mir nichts aus Einzelschicksalen aus den Medien mache ( Mutter vergewaltigt Kind und viertelt es). Deswegen bin ich gefühlskalt. Sagt man.
Ich sehe das so: Warum sollten mich Einzelschicksale, die mich nicht betreffen, berühren? Warum? Ich kenne weder die Mutter, noch das Kind. Also, wo ist das Problem. Ein entsetztes "die ist doch krank" denke ich mir nicht mal. Natürlich ist sie krank, verdammt krank sogar, sie ist sogar am Arsch. Logo und Hitler war scheiße. 5 Euro in die Phrasensau.
Ebenso muss ich nicht bei Filmen Emotionen zeigen, die ich so emotional finde wie Jens Riwa, wenn er die 20 Uhr Nachrichten vorträgt- Ich akzeptiere es, wenn andere da einen Mords-Gefühls-Flash bekommen. Jedem das Seine, ich brauche es nicht. Deswegen bin ich nicht toller oder besser und auch nicht besonders klüger. Gar nicht , wenn man es genau nimmt.
Jetzt, ein wenig emotionsloser und etwas sachlicher, formuliert. Ich glaube, es gibt einen unausgesprochenen Konsens des Mainstreams, ein Ranking, was gefühlvoll ist und was nicht; Dies und das ist traurig, hier und dort muss man/darf man weinen, hier hat man sich zu empören und dort sollte man unbedingt lachen. Aber dann gibt es Leute, fernab davon, die das eben nicht teilen. Viele davon schweigen einfach und schütteln den Kopf. Andere monieren das. So wie ich.
Zugegeben: Hier geht es nicht um den Fall der Mauer und auch nicht um einen dramatischen Apell an die Pressefreiheit. Jedoch geht es um nicht unwichtiges Thema. Und es geht um mehr: Dies ist gewissermaßen ein Stellvertreterkrieg, es geht um ein Thema, das ich irgendwann in den nächsten Monaten noch tiefer beleuchten werde. Das Steckenpferd des Etablissement, das Lächeln des Geschichtslehrers, etwas, das Lars von Trier nicht kennt: PoliticalCorrecntess. Ja, letzten Endes geht es um PC. PC ist krampf, Destaster und verlogen.
Ich habe vor einigen Tagen den außergewöhnlichen Film "beim Leben meiner Schwester" gesehen.Von wegen Gefühlskälte. Der Film ist, in seinen wunderbaren Details und seinem tottraurigem Charme so herzzereißend. Sicherlich haben viele Menschen bei diesem Film Emotionen gelassen - auch ich. Jedoch nicht unbedingt beim Tod der krebskranken Tochter; das traurigste an diesem Film war für mich, dass jedes Familienmitglied Opfer der Krankheit wurde. Jeder Einzelne stand auf seiner Art und Weise im Schatten des Krebses. Und das obwohl jedes Familienmitglied, ganz unabhängig der traurigen Tatsache, Zuwendung der Familie nötig gehabt Gerade diese Tatsache macht den Film so unglaublich komplett. Unglaublich, weil es so wenig wirklich komplette Filme geht.
"Das Leben meiner Schwester" zeigt uns Emotionen der ganz besonderen Art. Ich empfehle den Film auch als kleine Reise in die unmessbare Welt der eigenen Gefühle. Wer diesen Film lebt, lebt Gefühl und es ist mir unmöglich, diese Reise zu beschreiben. Hier lohnt sich der Selbstversuch.
Ferner ging es in dem Streifen um eine individuelle Angelegenheit, nämlich das Recht auf medizinische Selbstbestimmung. Dieses Thema jedoch bedarf es einer rationalen Debatte (Diesen Fehler begeht die Mutter in dem Film)
Viele jedoch sind gar nicht in der Lage sachlich oder rational zu sein.( ich rede nicht von der Mutter in dem Film, ganz und gar nicht, diese war in einer absoluten Ausnahmesituation) Andere sind für eine stupide Sachlichkeit, eine herrlich trockene und wunderbar logische Rationalität gar nicht bereit! Aber es gibt Menschen, die entscheiden sachliche Dinge emotional. Andersrum, nicht weniger überraschend, aber weit aus seltener, gibt es Menschen, die Gefühlsthemen sachlich versuchen zu erklären.( Der Klassiker: "Ich liebe dich" - Der/Die Andere: "Lass uns erstmal definieren, was Liebe ist") Beides ist brothohl- aber ebenso menschlich und realistisch. Nicht mal ich bin davon gefeit, mehr noch, ich bin nicht mal gut darin.
Was ich aber nicht mache, und da sind wir wieder beim Mainstream: Ich zwänge niemanden etwas auf. Für mich gibt es keinen Gefühlskodex; an den sich jeder zu halten hat. "Hier wird geweint bitte, hier gelacht; hier ist man enttäuscht und verletzt und hier, bitteschön, lächeln". Dieser Kodex wird nie ausgesprochen, aber er lebt und wird praktiziert, kontrolliert und wenn es sein muss sanktioniert. (Emotional; mit Unverständnis) Wir sind alles Individuen, so unsagbar unterschiedlich geprägt und wir alle haben das Recht auf unsere Emotionen. Wir haben alle das Recht auf die absurdesten Gefühlsausbrüche. Selbst wenn es für denjenigen nicht mal einleuchtend ist.

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